Seelchen
Wenn ich nächtlich um dich weine,
Wandert meine Seele aus,
Kleine Seele sucht die deine,
Schleicht sich scheu nach deinem Haus.
Seelchen braucht kein Weggeleite,
Niemand sieht den stummen Gast,
Schmiegt sich leise dir zur Seite,
Nimmt dir ab des Tages Last.
Seelchen wiegt in sanftem Schlummer
Dich mit seinem Liede ein,
Und es schweigt vom eignen Kummer
Küßt dein Haupt im Sternenschein.
Wenn es will im Osten tagen,
Zieht’s von dannen leis und lind,
Daß im Haus die Menschen sagen:
„Horch! das ist der Morgenwind!“
Traumbild
Nächtlich trat ich in das Zimmer,
Wo mein Freund am Schreibtisch stand,
Leuchtend fiel der Lampenschimmer
Auf mein festliches Gewand.
Mahnend legt‘ ich meine Hände
Auf des Denkers müdes Haupt:
„Ist die Arbeit nicht zu Ende,
Die dich mir so lang geraubt?“
„Sieh, das Leben geht vorüber,
Ungenossen bleibt die Lust,
Unser Blick wird trüb und trüber,
Ruh dich aus an meiner Brust.“
Langsam hob der Freund die Lider,
Sah mich an und sprach kein Wort.
Schauernd zog’s durch meine Glieder,
Und still weinend ging ich fort.
Entsagen
Und war mir nicht beschieden
Dein Lenz, so laß mich sein
Im herbstlich goldnen Frieden
Dein Abendsonnenschein.
Und faßt auch deine Rechte
Nimmer die Hände mein,
Die Ruhe deiner Nächte,
Dein Traumbild laß mich sein!
Und wiegten andere Lieder
In Lieb und Lust dich ein:
Bricht still die Nacht hernieder,
Laß dein Gebet mich sein!
Totenzug
Die Toten ruhen nicht im Grabe,
Sie weilen nicht im Aschenkrug,
Die Toten ziehn am Wanderstabe,
Ein großer, heil’ger Pilgerzug.
Die Toten ehren unsre Trauer,
Sie kommen auf dem Wolkensteg,
Sie sind im stürm, im Regenschauer,
Sie sind der Schatten auf dem Weg.
Die Toten sind die stummen Gäste,
Sie bitten um ihr täglich Brot,
Sie stören nicht den Klang der Feste,
Sie teilen nur der Nächte Not.
Sie ziehn zur Allerseelenfeier
In unsre stillen Hütten ein,
Sie heben scheu den Nebelschleier
Und sehn uns an im Dämmerschein.
Die Toten ruhen nicht im Grabe,
Sie weilen nicht im Aschenkrug,
Die Toten ziehn am Wanderstabe,
Ein großer, heil’ger Pilgerzug.
Winterlied
Gib deine Hand, daß ich sie halte,
Der Frühling ist vorbei.
Es heult am Tor der Wind, der kalte,
Gib deine Hand, daß ich sie halte,
Dann ist es wieder Mai.
Laß deine Augen auf mir ruhen,
Die Welt ist öd und grau,
Der Winter naht auf leisen Schuhen.
Laß deine Augen auf mir ruhen,
Dann ist der Himmel blau.
Laß über mir dein Lächeln schweben,
Vorüber ist der Traum,
Das graue Sterben Zwingt die Reben.
Laß über mir dein Lächeln schweben,
Dann blüht der Rosenbaum.
Laß uns des Schweigens Stimme lauschen,
Der Tod zieht durch das Tal,
Verstummt ist Waldes Lied und Rauschen.
Laß uns des Schweigens Stimme lauschen,
Dann singt die Nachtigall.